Betonmänner identifiziert

Schwerin • Seit Monaten sucht die WGS nach Hintergründen zur alten Bauarbeiter-Statue vom Großen Dreesch (Foto unten). Sie will zum bevorstehenden 50. Jubiläum des Stadtteils mehr über die Entstehungsgeschichte der Skulptur erfahren. Zahlreiche Zuschriften haben die hauspost mit Infos versorgt. Die teilweise widersprüchlichen Erzählungen führten gleichzeitig zu Verwirrung. Jetzt endlich gibt es Klarheit zur Betonkunst.

Neben der langhaarigen Statue vom Dreesch war eine weitere stetig im Gespräch: Sie hatte vor der Poliklinik gestanden. Zwei Namen kursierten fortan in den Briefen und E-Mails: Dieter Popp und Norbert Heinert. Jeder Zeitzeuge war glaubwürdig, doch der eine betitelte den Langhaarigen als Dieter Popp, der nächste wiederum die andere Skulptur. Die alles entscheidende E-Mail erreichte die hauspost-Redaktion Anfang Dezember: „Unsere Familie ist auf den Artikel aufmerksam geworden“, stand darin. „Die Statue auf dem beigefügten Bild ist Hans-Dieter Popp, unser Vater.“ Als Sohn ist Andreas Popp natürlich die verlässlichste Quelle. Das Foto im Anhang zeigt den schlanken, kurzhaarigen Bauarbeiter von der Poliklinik. Ein Zeitungsartikel der SVZ vom 1. August 1975 dokumentiert wiederum die Entstehung des Dreesch-Bauarbeiters ganz genau und erzählt davon, wie es schließlich zur Abbildung Dieter Popps kam.
Redakteur Fred Vorfahr beschreibt die braungebrannten Bauarbeiter und zeichnet ein Bild des beeindruckenden Industriekomplexes Schwerin-Süd und der dutzenden Baubuden mit Dächern aus Teerpappe. Eine ist anders. Sie ist ein Atelier. Darin arbeitet der Dresdner Künstler Helmut Hartung. Angetan von den „Dimensionen des Industrie-Komplexes“ sei er zielstrebig auf die Brigade Popp zugegangen. Seine Vision: Den tatkräftigen Bauarbeitern ein Denkmal setzen. Brigadier Dieter Popp zeigt sich dafür offen, doch warnt vor: Der Bildhauer solle es den Kollegen nicht übel nehmen, „wenn sie mal ein Wort fallen lassen, das Deine künstlerischen Empfindungen stören könnte“, wendet er sich an Helmut Hartung.

Der Künstler nimmt es gelassen und will ein Modell. Dieter Popp schlägt Norbert Heinert vor. Der ist zunächst dagegen, heißt es im Artikel. Ob er deshalb die Arme verschränkt hält, bleibt fraglich. Sicher ist: Nach und nach schätzen die Bauarbeiter die Arbeit Helmut Hartungs, ersetzen den Vorhang des Ateliers durch eine Tür mit Vorhängeschloss und huldigen so dem Wert der Kunst. Als der Bildhauer Beton als Material vorschlägt, sind selbst die größten Skeptiker überzeugt. Die Stimmung, die Fred Vorfahr beschreibt, zeigt: Die Bauarbeiter fühlen sich verstanden und richtig repräsentiert. Die Entstehung der Statue betrachten alle positiv gespannt. „Das Ausschalen wurde wie ein Brigadefest begangen“, steht in der Reportage. „Liebevoll wird die Plastik begutachtet, daran geklopft und ungewohnt gestreichelt.“ Mehr noch: Jetzt, wo die Bauarbeiter die Betonkunst vor Augen haben, steht ihnen der Sinn nach Mehr. „Ich schlage vor, genauso machst Du uns den Dieter Popp“, sagt einer unter Applaus. Gesagt, getan. Dessen Skulptur wird ein Jahr später fertig. Der Held der Arbeit präsentiert sich mit den Händen in die Hüfte gestemmt, den Blick in die Ferne gerichtet – lässig und stolz gleichermaßen. „Wir haben als Kinder versucht, unsere Köpfe durch die Arme der Statue zu stecken“, erinnert sich Andreas Popp an einen Ausflug zum Denkmal seines Vaters. Dessen Skulpturen-Vorgänger Norbert Heinert soll nach der ersten Ablehnung übrigens doch stolz auf sein Abbild gewesen sein und es durchaus vorgezeigt haben, berichtet eine hauspost-Leserin.
Andere Damen erinnern sich ebenfalls an „Norbert mit den langen, blonden Haaren“. Als echten Frauenschwarm beschreibt ihn eine ehemalige Kassiererin der Kaufhalle 1 auf dem Dreesch. Sie hatte sich mit ihren Kolleginnen ein wenig in ihn verguckt. Mehr nicht, denn alle waren in festen Händen. „Zitronen-Boy“ haben sie ihn getauft – schlichtweg deshalb, weil er regelmäßig etwa fünf dieser Früchte in seinem Einkaufskorb zur Kasse brachte.

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